Ärzte und Patienten – miteinander, füreinander.
Das Globalbudget kennt viele Namen
Globalziele, Kostenbremse, Zielvorgaben, Mengenbudgets, Kostensteuerung – egal, wie man es benennt, gemeint ist immer dasselbe: Ein Globalbudget für das Gesundheitswesen der Schweiz. Was bedeutet das für die Patientinnen und Patienten? Die Politik will künftig den Umfang der medizinischen Leistungen beschränken. Der Versicherungsanspruch des Patienten endet dann mit dem Budget.
Welches Szenario uns droht, zeigt das Beispiel Deutschland. Unser nördlicher Nachbar kennt seit zwei Dekaden ein Globalbudget im Gesundheitswesen. Hat ein Arzt seine «Zielvorgabe» erreicht, darf er nicht mehr behandeln. Manche schliessen sogar tagelang ihre Praxis, um das Budget nicht zu überschreiten. Ihre Patienten müssen dann zu einem anderen Arzt wechseln oder warten. Terminverschiebungen ins Folgequartal sind längst Usus.
Noch verheerender ist eine weitere Konsequenz: Patienten, die eine aufwändige Behandlung brauchen, oder mit einer chronischen Krankheit sprengen schnell das Plansoll. Sie werden so zur Belastung jeder Praxis. In der Folge sind Ärzte gezwungen, «teure» Patienten abzulehnen. Oder, um es mit den Worten des deutschen Gesundheitsökonomen Volker Ulrich auszudrücken: «In einem Globalbudget arbeitet derjenige (Arzt) wirtschaftlich, der es schafft, sich von der Versorgung kranker Menschen fernzuhalten.»
Autonomie auf dem Prüfstand
Erfahrungen mit Globalbudgets zeigen: Behandlungsentscheide der Ärzte werden von Krankenversicherungen fortwährend in Frage gestellt. Damit wird die Therapiefreiheit beschnitten. Es ist nicht mehr die Ärztin und ihre Patientin, die über die Therapie entscheiden, sondern die Krankenversicherer.
Die Folgen eines staatlichen Gesundheitssystem lassen sich in Grossbritannien beobachten: Überfüllte Betten, frustriertes Personal, verzweifelte Patienten. Der britische Gesundheitsdienst NHS befindet sich in einem desolaten Zustand. Während die Gesundheitsausgaben in der Schweiz durch Grundversicherung, Selbstzahlungen der privaten Haushalte und Staat getragen werden, erhält der NHS sein Budget aus Steuern. Als integraler Bestandteil des Staatshaushaltes liegt die Finanzierung des NHS im Ermessen der Politik. Und die Politik hat dem NHS in den letzten Jahren Sparkuren und einen weitreichenden Reformkurs hin zu mehr Wettbewerb auferlegt. Man hoffte, dass mehr Wahlfreiheit und mehr Wettbewerb für eine bessere Versorgungsqualität und kürzere Wartezeiten sorgen würden. Diese Hoffnungen bewahrheiteten sich nicht. Die jüngsten Entwicklungen zeigen: Chronisch Kranke, Alte, Arme und Hilflose warten heute monatelang auf Termine. Ihre Ausgaben für Sozialbetreuung und Pflege wurden gesenkt, Pflegestationen, Seniorenheime und Sozialstationen geschlossen.
Die Ereignisse in Grossbritannien zeigen: Globale Budgetplanung, fixe Kostenbremsen, verbindliche Zielvorgaben orientieren sich nicht am medizinischen Behandlungsbedarf. Sie schaden nicht nur dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten, sondern können für beide auch drastische Folgen haben.
Mehr Diktat, weniger Qualität
Der Staat will künftig festlegen, wie hoch die Gesundheitskosten im Folgejahr sein dürfen. Die Politik soll also gemeinsam mit der Verwaltung den Bedarf an medizinischern Leistungen bestimmen und nicht mehr die Ärztin und ihre Patientin. Werden nun aber die Kosten begrenzt, hat das Konsequenzen für die Patienten. Sie dürfen nicht mehr davon ausgehen, dass Pflichtleistungen auch bezahlt werden. Kann oder will der Patient nicht auf die Leistung verzichten, muss entweder der Arzt die Leistung gratis erbringen oder der Patient kommt selber für die Kosten auf. Die Erfahrungen aus Deutschland zeigen: Patienten warten wochenlang auf einen Termin, weil ihr Arzt das Budget für Kassenleistungen schon aufgebraucht hat.
Zwei-Klassen-Medizin
Praxen in Deutschland erhalten bis zu 20% ihrer Leistungen nicht bezahlt. Kostensteuerungen im ambulanten Bereich führen zu einer Zwei-Klassen-Medizin. Wartefristen für Termine nehmen bei den Patienten mit Allgemeinversicherung zu. Nur wer privat bezahlt oder privat versichert ist, hat einen privilegierten Zugang.
Bürokratie statt Therapie
Es kommt immer wieder vor, dass Ärztinnen und Ärzte von Krankenversicherern zu Unrecht beschuldigt werden, «unwirtschaftlich» zu arbeiten. Dann wird ein so genanntes Wirtschaftlichkeitsverfahren eröffnet – mit ruinösen Folgen für die beschuldigten Ärzte. Diese sehen sich mit Rückforderungen der Krankenversicherer in Millionenhöhe konfrontiert. Doch sind es gerade Ärztinnen und Ärzte mit vielen chronisch kranken Patienten, die «statistisch auffällig» werden. Das ist nachvollziehbar, denn die Behandlung solcher Patienten führt automatisch zu höheren Kosten in einer Praxis. Obwohl sie korrekt abrechnen, werden diese Ärztinnen und Ärzte von den Versicherern der unwirtschaftlichen Arbeitsweise bezichtigt. Die Folgen: Ein riesiger bürokratischer Aufwand, um die Wirtschaftlichkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirksamkeit der Behandlungen zu rechtfertigen.
Die Zahlen
68%
der Frauen leben heute auch noch fünf Jahre nach einer Krebsdiagnose. Vor 20 Jahren waren es im Durchschnitt nur 62%.
65%
der Männer leben heute auch noch fünf Jahre nach einer Krebsdiagnose. Vor 20 Jahren waren es im Durchschnitt nur 56%.
27%
beträgt die Abnahme der Sterbefälle bei den Frauen mit Krebsdiagnose von 1983 bis 2012.
36%
beträgt die Abnahme der Sterbefälle bei den Männern mit Krebsdiagnose von 1983 bis 2012.
Fortschritt dank Investition
Vielen Menschen ist der Nutzen der Gesundheitsversorgung weniger bewusst als die Kosten. Aber wir sollten nicht über die hohen Kosten des Gesundheitswesens sprechen, ohne den hohen Nutzen zu berücksichtigen: Seit der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung im Jahr 1996 reduzierte sich die Zahl verlorener potentieller Lebensjahre um 40%. Diese zusätzlichen Lebensjahre verdanken wir nicht zuletzt dem medizinischen Fortschritt. Das zeigt sich markant an der tieferen Sterblichkeitsrate bei Krebserkrankungen: Insbesondere bei Kindern haben sich die Heilungschancen markant verbessert. Hier liegt die 5-Jahres-Überlebensrate mittlerweile bei 85%. Die Schweiz gehört damit zu den Ländern mit den besten Behandlungsergebnissen bei Kindern mit einer Krebserkrankung.
Mehr Lebenszeit
Der Nutzen einer qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung: Gewinn an Lebenszeit, höhere Lebensqualität, mehr Teilhabe an der Gesellschaft, Vermeidung oder Verkürzung von Erwerbsunterbrüchen. Der Nutzen kommt der gesamten Bevölkerung zugute.
Um 72%
sind die gesamten Gesundheitskosten seit 1996 angestiegen, während die durchschnittliche Krankenkassenprämie in dieser Zeit um 107% anstieg.
Um 40%
reduzierte sich die Zahl verlorener potentieller Lebensjahre seit der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung im Jahr 1996.
83 Jahre
beträgt die Lebenserwartung der Schweizerinnen und Schweizer bei Geburt. Das ist der zweithöchste Wert hinter Japan. Das zeigt: die Schweizer sind gesünder als die Bewohner der meisten anderen Industrienationen.
4,7 Jahre
länger lebten die Schweizer Männer im Jahr 2015 gegenüber 1996.
2,9 Jahre
länger lebten die Schweizer Frauen im Jahr 2015 gegenüber 1996.
Zur Kampagne
Gemeinsam für ein Gesundheitswesen mit Augenmass
Das Parlament plant Gesetzesvorlagen, welche die Versorgung von Patientinnen und Patienten gefährden. Dagegen wehren sich zahlreiche kantonale Ärztegesellschaften und ihre Dachverbände mit einer politischen Kampagne. Der Fokus: Ärztinnen, Ärzte und ihre Patienten sind Verbündete. Gemeinsam sprechen sie aus, was sie vom Gesundheitswesen erwarten. Aktuell erscheinen in Zeitungen und ausgewählten Sonntagszeitungen Inserate.
Die Aktion wird unterstützt von:
Aerztegesellschaft des Kantons Bern
Aerztegesellschaft des Kantons Zürich
Medizinische Gesellschaft Basel
Appenzellische Ärztegesellschaft
Ärztegesellschaft des Kantons St. Gallen
Konferenz der Ostschweizer Ärztegesellschaften K-OCH
Société Médicale de la Suisse Romande SMSR
Verband Deutschschweizer Ärztegesellschaften VEDAG
Vereinigung Zentralschweizer Ärztegesellschaften VZAG
Verein der Leitenden Spitalärztinnen und Spitalärzte der Schweiz VLSS
In immer kürzeren Abständen präsentieren Politiker und Ökonomen Vorschläge, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu dämpfen. Wir Ärzte sind uns bewusst, dass die wachsenden Ausgaben sowohl die privaten Haushalte als auch die Budgets der Kantone belasten. Doch wir akzeptieren keine Sparübungen auf Kosten der Patienten und der Behandlungsqualität! Massnahmen, welche Leistungen rationieren und Ausgaben deckeln wollen, sind abzulehnen. Die Folge wäre eine Zwei-Klassen-Medizin, die gerade einkommensschwächere Haushalte unter zusätzlichen Druck setzen würde.